Berufliche Vorsorge: «Innovation passiert nicht automatisch»

Das Schweizer System der beruflichen Vorsorge mache es Arbeitnehmern speziell schwer, mehrere Teilzeitpensen zu versichern. Aber auch die Arbeitgeber könnten aktiver und innovativer sein, findet Jaap van Dam im Interview mit Claudio Zemp (Schweizer Personalvorsorge).

 

Welche Lösungen braucht es für die Vorsorge in der Schweiz in Zukunft?
Jaap van Dam: Das hängt davon ab, wie sich der hiesige Arbeitsmarkt entwickelt. Ich habe die erste Hälfte meines Lebens in Holland verbracht. In der Regel sind manche Arbeitsmarktentwicklungen dort etwas früher erkennbar als in der Schweiz. Im Vergleich zur Schweiz gibt es in den Niederlanden mit 12.5 % der Berufsbevölkerung sehr viele selbständige Erwerbstätige. Viele sind für mehrere Arbeitgeber tätig. Man sieht das in der Schweiz auch immer mehr. Diese Leute haben ihren Arbeitsplatz zuhause oder im «Open Space» und sind selbständig tätig. Das ist ein Modell, das im Arbeitsmarkt der Zukunft auch in der Schweiz wichtiger werden wird.

Sehen Sie weitere Arbeitsformen mit Zukunftspotenzial?
Sehr viele Leute sind angewiesen auf eine zweite oder dritte Einnahmequelle. Da muss das Sozialversicherungssystem eine Antwort finden: Wie gehen wir mit solchen Mehrfachverdienenden um? Bei welchen Anbietern, bei welcher Pensionskasse kann man die zweiten oder dritten Lohnanteile dieser Leute versichern? Wenn wir bei diesen zwei Beispielen bleiben: Hier gibt es in der Schweiz nicht genug Angebote.

Welche Branchen sind speziell betroffen?
In der Gesundheitsbranche oder an den Schulen gibt es viele Personen, die diverse kleine Pensen haben. Sie möchten diese gern auch in einer Pensionskasse versichert haben.

Gibt es auf der Angebotsseite eine entsprechende Antwort?
Ja, es gibt schon Lösungen, dass man auch kleine Pensen versichern lassen kann, auf freiwilliger Basis. Im Markt bieten einige Branchen- und Verbandskassen dafür Hand. Auch die Asga ermöglicht es, dass man externe Lohnteile in der Pensionskasse versichern kann, wenn der Hauptarbeitgeber hier mitmacht.

Wie funktioniert das konkret?
Wenn der Arbeitgeber, welcher bei der Asga angeschlossen ist, dies will, können seine Mitarbeitenden ihre Lohnteile, die sie bei anderen Arbeitgebern verdienen, auch bei der Asga versichern lassen. Selbst wenn das ein kleiner extern verdienter Lohnteil ist, läuft der Vollzug dann ebenfalls über den ersten Arbeitgeber. Dieser erste Hauptarbeitgeber ist für die Beitragszahlung zuständig und muss das mit den Versicherten verrechnen. Die Rechnung wird so aufgesplittet, dass Arbeitgeber A und die weiteren B, C und D erfahren, wie viel sie bezahlen müssen. Das ist natürlich ein Zusatzaufwand für Arbeitgeber A.

Was haben Arbeitgeber für Anreize, dies zu tun?
Generell glaube ich, dass dies in Zeiten von Fachkräftemangel ein Modell der Zukunft ist. Der Arbeitgeber sollte Hand bieten und bereit sein, den Mehraufwand auf sich zu nehmen. Das gibt ihm einen Vorteil im Wettbewerb. Im Arbeitsmarkt der Zukunft wird das entscheidend sein: Was leistet sich der Arbeitgeber? Welche Art von Arbeitgeber ist man? Wenn man sich eine gute Vorsorge leistet, auch für jüngere Leute, die ausserhalb der Firma weitere Perspektiven haben, hilft dies.

Wie hoch schätzen Sie den Aufwand für einen Arbeitgeber ein?
Es ist gar nicht so sehr ein finanzieller Aufwand, sondern mehr eine zeitgemässe Dienstleistung gegenüber den Mitarbeitenden.

Was fehlt den KMU?
KMU ist ein breit gefasster Begriff. Ihre Frage stellt sich vorallem für Kleinstunternehmen mit einem oder zwei, drei Arbeitnehmenden. Diese Unternehmen sind weit verbreitet. Dort fehlt es häufig am Wissen, was die 2. Säule überhaupt ist. Oder wie wichtig sie ist, vor allem in der zweiten Hälfte der Berufskarriere. Das wird immer noch oft unterschätzt, auch bei vielen Arbeitgebern. Hier gibt es Bestrebungen, in der Politik, vom Bundesamt, der BVG-Kommission, vom ASIP, um in diesen Bereichen die Pensionskassenmodelle und die Gesetzgebung weiterzuentwickeln. Diese Akteure sehen die Lücke und versuchen, sie zu schliessen. Das Problem ist, dass solche Ideen von der Wählerschaft und von Grossarbeitgebern oder den Arbeitgeberverbänden zurückgewiesen werden. Ich würde mir wünschen, dass etwa der Gewerbeverband diesbezüglich etwas kooperativer wäre.

Wie meinen Sie das?
Berufsverbände und Branchenorganisationen müssten hier vermehrt mitmachen bei der Modellentwicklung. Bei vielen stehen immer die Kosten im Vordergrund. Es braucht einen Paradigmenwechsel. Um in Zeiten des Arbeitskräftemangels auf dem Arbeitsmarkt alle Leute abzuholen, muss man eindeutig innovativer werden. Man kann nicht alles auf die Eigenverantwortung abschieben. Als Arbeitgeber sollte man den Arbeitnehmenden eine Lösung anbieten. Innovation passiert nicht automatisch.

Gibt es gar keine guten Beispiele für Innovation?
Doch, aber wenige. Im Angebotsbereich gibt es die Axa, die zusammen mit der Spitex solche Modelle entwickelt hat. Die Spitex ist angewiesen auf Personen in Teilzeitarbeit in der Pflege. Da kann man mit wenig viel erreichen: Allein, dass der Koordinationsabzug nicht doppelt angerechnet wird oder dass man eben auch an zweiter und dritter Stelle verdiente Lohnteile ohne Koordinationsabzug zusätzlich versichern kann.

Interessiert?

 

Für ein unverbindliches Gespräch steht ihnen Jaap van Dam, Dr. rer. publ. HSG, gerne zur Verfügung.
Direkt +41 71 243 04 70, jaap.vandam@hsp-con.ch